Die wichtigste Zutat: eine Prise Leichtigkeit

Gerade bin ich auf Abschiedstour. Ich habe meinen Job hinter mir gelassen und in Kürze verlasse ich mein Land. Damit ich mir diesen inneren Luxus leisten kann, verzichte ich künftig auf äusseren Luxus. Das bedeutet, dass ich weit über die Hälfte der Dinge, die ich besass, verkauft, verschenkt oder ins Brockenhaus gebracht und so der Kreislaufwirtschaft zugeführt habe.

Dabei habe ich jede Menge spannende Leute kennengelernt. Da war einmal Toni, der auf Gartenmöbel und Vorhänge spezialisiert war, die er – nach eigenen Aussagen – für einen Freund einsammelt, der sie wiederum in die Dominikanische Republik verschifft. Er kam während zwei Monaten immer mal vorbei und nahm etwas mit, wenn er grad ein wenig Platz in seinem Auto hatte. Weshalb gerade Vorhänge und Gartenmöbel derartige Transportwege zurücklegen hat sich mir nicht erschlossen. Aber Toni hat jedes Mal gestrahlt.

Jan wollte drei meiner Büchergestelle. Ich habe sie ihm jeweils abends vor die Tür gestellt, weil er nur dann kommen wollte. Er kam aber nur, wenn es nicht regnete und im vergangenen Frühjahr regnete es oft. Jan hat einen Monat gebraucht, um die drei Gestelle einzusammeln und damit ein bisschen meine Geduld strapaziert. Erst beim dritten Gestell habe ich verstanden, dass er gar kein Auto hat, sondern die Gestelle zu Fuss abholt, zum Bahnhof bringt um von dort mit dem Zug nach Hause zu fahren. Ich räume ein, ich bin nicht mal auf die Idee gekommen, dass man Möbel auch zu Fuss durch die halbe Schweiz transportieren könnte.

Einen Luxusartikel, zu dem ich schon immer ein angespanntes Verhältnis hatte und der unter dem Thema Beziehungskompromiss zu verbuchen ist, war unser Whirlpool. Er wurde vor einigen Jahren in schweizerischer Perfektionsmanier mit einem Kran angeliefert und sorgsam im Garten verankert. Abtransportiert wurde er nun vor ein paar Wochen von ungarischen Whirlpoolhändlern, die in der Schweiz bei all jenen die Pools zusammensammeln, die sich aufgrund ihrer Energiescham, einer Auswanderung oder beidem zu einem Verkauf entschlossen haben. Sie kamen nicht mit einem Kran, sondern mit zwei kleinen Metallrohren, die sie unter den Pool legten und diesen in einer sehr zeitaufwändigen Aktion durch den Garten auf die Strasse rollten und auf ihren klapprigen Anhänger wuchteten. Wir versuchten zu helfen wo wir konnten und das fanden sie so nett, dass sie uns noch eine Flasche ungarischen Wein schenkten.

Was haben nun Toni, Jan und die ungarischen Whirlpoolhändler gemeinsam? Zeit schien für sie einfach keine wesentliche Rolle zu spielen. Und sie strahlten eine unglaubliche Freundlichkeit aus. Ich vermute einen Zusammenhang.

Seit vier Tagen habe ich auch Zeit. Ich habe keinen geschäftlichen Mailaccount mehr und lese die Zeitung analog, weil ich ja Zeit habe, zum Kiosk zu laufen. Und plötzlich kann ich wieder einen Artikel vom Anfang bis zum Ende lesen. Das geht auch viel besser, wenn man nicht ständig von der nächsten Schlagzeile angeblinkt wird. Nach ausgiebiger Zeitungslektüre war ich heute auf der Gemeinde, weil ich für den deutschen Zoll eine provisorische Abmeldebestätigung aus der Schweiz benötige. Eine Abmeldebestätigung bekomme ich aber erst, wenn ich die Steuern bezahlt habe. Die Steuern kann ich erst bezahlen, wenn ich die letzte Lohnzahlung erhalten habe. Diese erhalte ich aufgrund meiner Ferienkompensation aber erst in zwei Monaten, der Umzug findet aber in zwei Wochen statt. Und eine provisorische Bestätigung ist im Gegensatz zu einer definiven Bestätigung im Ablaufschema der Gemeinde beim Verlassen der Schweiz nicht vorgesehen. Ich verzichte an dieser Stelle auf weitere Details.

Ich habe die provisorische Abmeldebestätigung. Wie das ging? Mit viel Zeit und Freundlichkeit. Und wie sich das alles anfühlt? Genau: nach unfassbarer Leichtigkeit. Das wiederum bringt mich zur Vermutung, dass Zeit ein sowohl mächtiges wie auch relatives Konstrukt ist, über das ich allerdings noch länger nachdenken muss. Im Moment begnüge ich mich aber mit der Erkenntnis, dass Zeit das Potential hat, mich zu einem Menschen zu machen, der eine freundliche Leichtigkeit in sich trägt. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Vielleicht erinnere ich mich einfach gerade daran, wer ich wirklich bin.

Dir ist nun nach weiteren Prisen Leichtigkeit? Dann lies hier weiter bei den anderen Schreibfreundinnen:

Susanne

Alexandra

Christine

Claudia

Evelyne