Eine Welt ohne Echo – der Wunsch nach echter Begegnung

Ich mag das ja, wie wir jeweils unsere Themen für unsere Blogbeiträge finden. Wir erzählen uns, wie es uns so geht und was uns grad beschäftigt und irgendwie findet sich fast immer ein gemeinsamer Nenner. Diesmal war es dieses diffuse Gefühl, das jede von uns hat, dass Geschriebenes kaum mehr gelesen wird. Persönlich stört es mich nicht (mehr) so sehr, da ich schreibe, weil mich der Schreibprozess fasziniert. Ich mag, was das Schreiben mit mir macht. Und doch konnte ich mich diesem diffusen Gefühl anschliessen.

Mein Leben empfinde ich meistens dann als gelungen, wenn ich mich mit der Welt verbunden fühle. Eine Verbindung entsteht aber nicht durch die (ausbleibenden) «Gefällt mir»-Marker oder die Herzchen auf irgendeiner Social-Media-Plattform. Diese erinnern mich in ihrer Funktion ein wenig an meine Zeit in der Verwaltung, wo die Regel gilt, dass jede Person in der jeweils zuständigen hierarchischen Linie ein Schriftstück lesen und im Falle der Genehmigung visieren muss. Geht man davon aus, dass Personen, die das Schriftstück visieren dieses zuvor auch tatsächlich gelesen haben, wird man nicht selten enttäuscht. So ein Visum bedeutete in der Regel: «war bei mir im Büro». Gleiches gilt für die Visums-Häckchen bei den gängigen elektronischen Geschäftsverwaltungssystemen. Und für den «Gefällt mir»-Button bei Social-Media. Übersetzt heisst dies dann: «hat auf meinem Bildschirm meinen Aufmerksamkeitsradius gestreift». Ich vermute, so ähnlich ist es beim Echo. Was mir manchmal fehlt, ist aber mehr.

Wenn ich mich leer fühle, kann es daran liegen, dass es mir an Resonanz fehlt. Diese geht viel weiter als ein Echo in welcher Form auch immer und ist nicht zu verwechseln mit Anerkennung oder Aufmerksamkeit. Hier geht es um ein tiefes Miteinander. Hartmut Rosa hat in seinem Grundlagenwerk zum Thema sehr umfassend und einleuchtend beschrieben, was den Kern eines guten Miteinanders ausmacht. Um von Resonanz zu sprechen, müssen wir die Welt und unsere sozialen Beziehungen mit all unseren Sinnen erfahren. Wir müssen uns aufmerksam und achtsam begegnen, damit das entsteht, was wir körperlich als Schwingungen wahrnehmen. Aufmerksames und achtsames Begegnen entsteht durch einen direkten, offenen und interessierten Austausch mit unserer Umwelt, und das geschieht langsam. Resonanz braucht deshalb Ruhe und Zeit und vor allem den unmittelbaren Kontakt. Unser modernes Leben mit seinem rasenden Getöse übertönt die Resonanz. Oder um es mit den Worten von Hartmut Rosa zu sagen: «Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung».

Dieses diffuse Gefühl, dass uns wahre Resonanz irgendwie abhandengekommen ist, beschäftigt zweifellos viele Menschen.  Dies mag sich auch darin zeigen – zumindest hoffe ich das – dass zunehmend Dritte Orte entstehen. Der Begriff «Dritter Ort» stammt aus der Soziologie und umschreibt Orte, die neben dem Familienleben als ersten Ort und dem Arbeitsleben als zweiten Ort einen Ausgleich bieten. Dies können Bibliotheken, Lesezirkel, Schreibwerkstätten oder Treffpunkte für nachbarschaftliche Gemeinschaft oder Hundefreunde sein. Ein wichtiges Merkmal Dritter Orte ist, dass sie frei von Hierarchien und Konsumzwang sind.

Damit Resonanz entstehen kann, braucht es dieses Gefühl der Verbindung und damit diese Schwingungen, die wir körperlich wahrnehmen. Einen virtuellen Dritten Ort zu gestalten, dürfte deshalb schwierig sein. Ich wage zu behaupten, dass auf rein virtueller Ebene nie dieselben Schwingungen entstehen können, wie im unmittelbaren Austausch. Wir müssen die Welt wieder unmittelbar und mit unseren Sinnen erfahren, sonst wird das nichts mit einem friedlichen und zufriedenen Miteinander.

Manchmal frage ich mich, ob es genau das ist, was von der Pandemie übriggeblieben ist:  der Wunsch nach Dritten Orten und die Bereitschaft, diese mitzugestalten. Ich schätze zumindest, dass in dieser Zeit bei vielen Menschen das Bewusstsein gewachsen ist, dass die Familie und der Arbeitsplatz allein meistens nicht zu einem zufriedenen Leben führen. Es ist eben genau dieser Austausch der dritten Art, der uns so zufrieden macht. Er ist frei von tradierten oder zugeschriebenen Rollen, die wir spielen und Hierarchien, die zu beachten sind. Und es sind die Schwingungen, die wir spüren können, bei wahrem und tiefem Zusammensein, wie an einem echten Lagerfeuer.

Willst Du lesen, welches Echo sich die anderen Schreibfreundinnen wünschen?

Alexandra

Claudia

Susanne

Evelyne

Christine

Und wenn Du Dich mit Ruhe und viel Zeit (die brauchst Du für dieses Buch) in die soziologische Resonanztheorie von Hartmut Rosa vertiefen möchtest, was ich Dir wärmstens ans Herz legen kann:

Hartmut Rosa, Resonanz, Eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp 2019