Ich lese gerne Zeitung, schon immer. In den letzten Monaten wurde es mir dann aber doch zu viel. Zu viel Krieg, zu viel Wahlkampf, zu viele Autos, die in Menschenmengen fahren und zu viele Politiker (die Formulierung ist bewusst gewählt), die mit den Grundregeln respektvollen Verhaltens nicht vertraut sind.
Mit diesem Nachrichtenverdruss bin ich ja nicht allein. Eine Freundin sagte kürzlich zu mir: „Ich schaue keine Nachrichten, nur Netflix. Ich bin glücklich.“ Ich freue mich für sie, glaube ihr kein Wort und verwerfe dieses Konzept für mich. Gleichwohl umtreibt mich die Frage, wie ich mit dem unerfreulichen und beängstigenden Weltgeschehen umgehen kann, ohne dabei mich und mein Umfeld mit meinen Angstreflexen aufzuscheuchen oder ständig wütend zu sein.
Ich glaube nun – zumindest für den Moment – eine Lösung gefunden zu haben. Ich habe aufgehört, positiv zu denken. Und nein, das Gefühl, das sich seither mehr und mehr in mir ausbreitet ist nicht Resignation. Ganz im Gegenteil: Ich bin oft überraschend gut gelaunt.
Das kam so: Will man herausfinden, was in der Welt schief läuft, lohnt sich der Gang in eine Buchhandlung. Bereits in der Auslage beim Eingang wird man von einer breiten Auswahl an Selbsthilferatgebern empfangen, die einem unmissverständlich klar machen, dass man jetzt sein Leben ändern muss, um glücklich zu werden. Und dass man alles erreichen kann, wenn man denn nur will. Dies am besten in sieben Schritten, zwölf Stufen, 30 Tagen oder – unserer aufgeregten Zeit angemessen – in 30 Sekunden.
Manchmal geht es noch einfacher und die Bücher versprechen einem, dass sie das eigene Leben gleich selbst verändern. Wie praktisch. Nur glaube ich es nicht. Dass die Wahrheit der Absicht nur die Tat selbst ist, hat uns Hegel schon beigebracht. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich das eine Buch, das mein Leben verändert, selber schreiben muss (Für alle, die ab und zu mal nachfragen: Es ist noch in Arbeit und der Entstehungsprozess hat mit dem zu tun, was nun folgt.).
Ich glaube auch nicht, dass der Wille allein das geeignete Instrument ist, um alles zu erreichen, was man möchte. Ich mache mein Glück lieber nicht von meinem Willen abhängig, weil ich daran zweifle, dass unser Einfluss auf den Kosmos und damit auf unser eigenes Leben so gross ist, wie wir es gerne glauben.
Weshalb soll man überhaupt sein Leben ändern und glücklicher werden? Ich fürchte, der ganzen Sache liegt ein Irrtum zugrunde. Das ist zumindest meine Erfahrung und ich freue mich für alle, die sie nicht teilen.
Will ich mich selbst glücklich machen, ist das auf wundersame Weise der erste Schritt, unglücklich zu werden. Ein sehr triviales Beispiel: Immer wieder überrollt mich in meinem Leben die Idee, dass ich mit ein paar Kilos weniger ein glücklicherer Mensch wäre (Das dem wirklich so ist, bezeugt der Umstand, dass ich auch immer wieder darüber schreibe). Ich nehme mir vor, mich von den drei Kilos, die zwischen mir und meinem vermeintlichen Glück stehen, zu trennen. Genau das ist der Moment, an dem Schokolade eine sehr grosse Präsenz in meinem Tagesverlauf einnimmt. Ich brauche meist Wochen, bis sich das wieder normalisiert. Im Grunde ist es ganz einfach und hinlänglich bekannt: Denken Sie die nächsten 15 Sekunden nicht an einen rosa Elefanten. Geklappt? Nein, natürlich nicht.
Mit dieser Reaktion unseres Gehirns macht die Glücksindustrie gute Geschäfte: „Diese eine Sache / der Gedanke / die Hautcrème / das Nahrungsergänzungsmittel oder eben das Buch (die Liste ist beliebig verlängerbar), die dein Leben für immer verändert.“ Dahinter verbirgt sich letztlich die Suche nach dem dauerhaften Glück, die meistens in Richtung Unglück führt und damit das System am Laufen hält. Hinter dem Wunsch nach dauerhaftem Glück steht ja letztlich das urmenschliche Bedürfnis nach Sicherheit. Und das kann man drehen und wenden wie man will: Sicherheit ist einfach nicht zu haben.
Genau das ist der Grund, weshalb ich der Sache mit dem positiven Denken nicht mehr traue, mal abgesehen davon, dass mich der damit zwangsläufig verbundene Optimismus etwas ermüdet. Noch genauer sind es zwei Gründe, die beide mit unserem Sicherheitsdenken zu tun haben:
1. Das positive Denken ist auf ein Ziel ausgerichtet
Planen war bis vor nicht allzu langer Zeit eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich machte Trainingspläne, Schreibpläne, Ernährungspläne, Pläne für die noch bessere Morgenroutine und was der Kosmos der Selbstoptimierung sonst noch alles so hergibt. Ich setzte mir Jahresziele, Monatsziele, Tagesziele. Irgendwann wurde zumindest meinem Körper klar, dass mir das Ganze – ausser einer schleichenden Erschöpfung – nicht sehr viel bringt.
Es mag gute Gründe für Ziele geben. Ziele motivieren, so das Versprechen, des „So entfaltest Du Dein volles Potential“-Universums. Vielleicht lohnt sich hier ein Perspektivenwechsel. Man könnte auch mal die Motivation, sich Ziele zu setzen, hinterfragen.
Für mich kann ich das klar beantworten. Ich setze mir immer dann Ziele, wenn mich die Unsicherheit, mit der die Zukunft zwangsläufig einher geht, beunruhigt. Wenn mir meine berufliche Zukunft Sorgen bereitete, dann machte ich eine neue Aus- oder Weiterbildung. Neben meinem aktuellen Job. Beunruhigte mich die Aussicht, mich irgendwann nicht mehr so kraftvoll und beweglich zu fühlen, stellte ich mir ein neues ausgefeiltes Trainingsprogramm zusammen. Beides erschöpfte mich jeweils, weil ich vor lauter Zielbesessenheit ausblendete, dass der Tag nur 24 Stunden hat und mir die Freude an dem, was ich tat, auf dem Weg verloren ging. Rückblickend musste ich für mich feststellen: Ziele verursachen Stress. Besonders seltsam ist deshalb auch das Ziel, den Stress zu reduzieren.
Eindrücklich war für mich in dieser Beziehung der letzte Jahreswechsel, den ich ganz anders beging, als die Jahre davor. Bisher hatte ich in dieser Zeit immer Rückschau gehalten und Pläne fürs neue Jahr gemacht (heute Visionboard genannt). Die Rauhnächte habe ich mit dem Ritual der 13 Wünschen für das neue Jahr verbracht und war jedesmal froh, wenn der übriggebliebene Wunsch, den ich nicht dem Universum überlassen konnte, einer war, der sich auch ohne mein grösseres Zutun höchstwahrscheinlich erfüllen würde. Dieses Mal liess ich mich (ungeplant!) einfach zwischen die Jahre fallen und freute mich, dass ich weitgehend unbeschadet durch das zu Ende gehende Jahr gekommen war. Mein Potential hatte ich vielleicht nicht vollständig entfaltet. Vielleicht war da aber auch gar nichts (mehr) zum Entfalten und es ist einfach gut wie es ist? Netter Gedanke.
2. Das positive Denken füttert unser Ego
Richtet man seine Aufmerksamkeit nach Innen, so findet man in der Regel Gedanken, Gefühle und Emotionen. Manche behaupten auch, dass es dort ein „Ich“ zu finden gibt. Aber das möchte ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Unbestritten dürfte sein, dass in all unseren Köpfen eine Stimme zu finden ist, die in Dauerschleife plappert. Und das ist ja nicht etwas, das wir tun, es geschieht einfach (ich weiss, René Descartes sah das etwas anders).
Problematisch wird diese Stimme dann, wenn wir uns mit ihr identifizieren. Ab diesem Moment fällt es schwer, unseren Verstand zu benutzen, er benutzt dann eher uns: Das Ego beginnt sein Eigenleben. Anschauungsmaterial liefert die Zeitungslektüre (und im ungünstigen Fall auch das eigene Verhalten danach) in jeglicher Ausprägung.
Es gibt zwei Dinge, die das Ego mag: unsere Unzufriedenheit und damit jeglichen Widerstand gegen das, was gerade geschieht. Und es mag unser Unvermögen, mit Unsicherheit umzugehen. Zukunftspläne sind also ein Grundnahrungsmittel für unser Ego.
Aber genau das ist der Witz beim positiven Denken: man soll sich ja mit den eigenen Gedanken identifizieren und beispielsweise den gewünschten Erfolg visualisieren. In der Tat führt die positive Visualisierung von Erfolg zur Entspannung, weil das Gehirn glaubt, ihn schon erreicht zu haben. Persönlich finde ich das kein nachhaltiges Konzept, obwohl ich mich gerne entspannt fühle.
Zielführender (!) scheint es mir zu sein, die eigenen Gedanken zu beobachten. Sie verlieren so ihre Macht und es wird auf wundersame Weise ruhiger im eigenen System. Unsere Gedanken und Emotionen sind letztlich wie das Wetter. Man muss mit ihnen leben, aber man muss nicht gleich das ganze Leben nach ihnen ausrichten.
In der buddhistischen Welt habe ich etwas ganz Wertvolles gelernt: wenn wir Sicherheit wollen, müssen wir die Unsicherheit radikal akzeptieren. Ich glaube, dass wir lernen müssen, in der Ungewissheit zu ruhen oder sie zumindest zu ertragen. Man kann auch noch einen Schritt weiter gehen. Stellen wir uns der Ungewissheit, öffnen wir uns in gewisser Weise auch für die Magie des Lebens.
Man kann das auch üben. Ich tue das in der Meditation, oder bei anderen stillen Dingen (nein, nicht Tätigkeiten). Bei der Meditation geht es ja nicht darum, das Geplapper im Kopf abzustellen. Vielmehr geht es darum, dass man aufhört, ständig alles in Ordnung bringen zu wollen. Meditation ist für mich ein Weg, mit dem Davonlaufen aufzuhören. Einfach still sitzen und beobachten, wie Gedanken, Gefühle, Wünsche und Abneigungen kommen und gehen. Es hilft, die Suche nach der Lösung aller Probleme loszulassen und gleichzeitig bewahrt es davor, in der Resignation zu versinken.
Das positive Denken mag seine guten Seiten haben, aber es nicht zu tun, hat nach meiner Erfahrung auch einen positiven Effekt. Geben wir die Illusion der Sicherheit auf, bringt das etwas Ruhe in unser aufgeregtes Leben. Das Einzige, was wir letztlich kontrollieren können, sind unsere Urteile über unsere Umstände. Das ist ein ganz alter Gedanke der Stoiker. Und ich finde, er hilft enorm bei der Zeitungslektüre. Mir hilft es deshalb, ab und zu meine Gedanken zu beobachten, wenn ich mich mit dem alltäglichen Weltuntergang in den Medien beschäftige. Ich werde deutlich ruhiger.
Und dennoch: Manchmal macht mich das Weltgeschehen einfach nur fassungslos und unglaublich wütend. Ich habe noch kein Mittel gefunden, mit Respektlosigkeit umzugehen. Aber vielleicht ist das auch gut so.
Wer diese Gedanken vertiefen möchte, dem seien Marc Aurel, Seneca und/oder die folgenden Bücher empfohlen:
Oliver Burkeman: Das Glück ist mit den Realisten, 2023
Stefan Frädrich: Warum Ziele Quatsch sind, und wie wir sie trotzdem erreichen, 2022
Leander Greitemann: Unfollow your Dreams: Leben, Ziele, Sinn und Erfolg neu denken, 2023
Eckhart Tolle: Jetzt! Die Kraft der Gegenwart, 2010

Danke für diesen inspirierenden Text!
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